Deutscher Gehörlosen-Bund will Privatwirtschaft zur digitalen Barrierefreiheit verpflichten

In Deutschland ist die digitale Barrierefreiheit für Privatunternehmen immer noch Privatsache. Um den Alltag von Hörbehinderten zu verbessern, fordert der Deutsche Gehörlosen-Bund e.V. (DGB) die Bundesregierung zu einer verpflichtenden Regelung auf. Die offizielle Stellungnahme des DGB lesen Sie hier.

Der Deutsche Gehörlosen-Bund e.V. fordert die Verpflichtung statt die Freiwilligkeit zur digitalen Barrierefreiheit im privaten Sektor!

Am 14.06.2018 hat der Bundestag das geänderte Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) bezüglich des barrierefreien Zugangs zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen, durch die Umsetzung der EU-Richtlinie 2016/2012 mit dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, beschlossen. Darin geht es u.a. um die Beibehaltung der graphischen Programmoberfläche und Social Media-Angebote und die Einbeziehung der bundeseigenen Unternehmen (Deutsche Flugsicherung, Deutsche Bahn AG, LH Bundeswehr Bekleidungsgesellschaft mbH, HIL Heeresinstandsetzungslogistik GmbH, Bundesdruckerei GmbH, etc.). Die AfD, die Linken und das Bündnis 90/Die Grünen stimmten dagegen.

Der Entschließungsantrag vom Bündnis 90/Die Grünen wurde abgelehnt. Einen Antrag von den Linken, das Menschenrecht auf Barrierefreiheit umzusetzen und die Privatwirtschaft zu Barrierefreiheit zu verpflichten, lehnten CDU/CSU, SPD, AfD und FDP ab. Die Linken und das Bündnis 90/Die Grünen stimmten dafür.

Das Gesetzgebungsverfahren im Bundestag (1. Lesung, Ausschussberatung, 2./3. Lesung) wurde mit unter einem Monat Bearbeitungszeit deutlich beschleunigt. Verbände und Selbsthilfeorganisationen haben nur eine Woche Zeit, eine Stellungnahme abzugeben. Dies ist unserer Ansicht nach nicht ausreichend und nicht angemessen. Die Möglichkeit Einfluss zu nehmen, wurde beschränkt. Wir benötigen mehr Zeit, um uns mit dem Thema digitale Barrierefreiheit auseinandersetzen zu können. Die Frist für Stellungnahmen sollte etwas länger sein.

Unverändert werden alle öffentlichen Stellen des Bundes dazu verpflichtet, die Videos ihrer Webseiten und Apps für Gehörlose und andere Menschen mit Hörbehinderungen in Gebärdensprache und mit Untertiteln zugänglich zu machen.

Für uns ist immer nicht klar, wer die Inhalte der Videos in Gebärdensprache und mit Untertiteln kontrollieren bzw. prüfen soll. Wir möchten keine falschen Übersetzungen sehen und fordern Qualitätssicherung.

Mit dem Erwähnungsgrund 34 der EU-Richtlinie 2016/2012 als Empfehlung sollten die Mitgliedsstaaten dazu ermutigt werden, die Anwendung dieser Richtlinie auf private Stellen auszuweiten, welche Einrichtungen und Dienstleistungen anbieten, die der Öffentlichkeit offenstehen bzw. bereitsgestellt werden. Dies gilt u.a. in den Bereichen Gesundheitswesen, Kinderbetreuung, soziale Integration und soziale Sicherheit sowie in den Sektoren Verkehr, Strom, Gas, Wärme, Wasser, elektronische Kommunikation und Postdienste.

Wir sehen von der großen Koalition (CDU/CSU und SPD) kein deutliches Signal, die digitale Barrierefreiheit im privaten Sektor auszubauen. Dies ist sehr bedauerlich und unverständlich für uns.

Die digitale Barrierefreiheit ist für den privaten Bereich in Deutschland noch immer nur freiwillig. Die Forderungen des Deutschen Gehörlosen-Bundes e.V., des Deutschen Behindertenrates sowie anderer Behindertenverbände nach digitaler Barrierefreiheit in allen Bereichen wurde erneut ignoriert. Wir empfinden diese Ignoranz als deutlichen Widerspruch zu unserem uneingeschränkten und selbstverständlichem Recht auf Teilhabe, wie es die UN-Behindertenrechtskonvention vorsieht.

Anders als Deutschland hat unser Nachbarland Österreich gezeigt, dass es möglich ist, auch die Privatwirtschaft zur Barrierefreiheit zu verpflichten.

Deshalb fordert der Deutsche Gehörlosen-Bund e.V. das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) auf, einen Referentenentwurf für die Novellierung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vorzulegen, die Schaffung einer gestuften gesetzlichen Pflicht zur Barrierefreiheit im Privatwirtschaft, verlängerte Klagefristen, die Schaffung eines Verbandsklagerechts und die Förderung der Diskriminierungsschutz durch angemessene Vorkehrungen im Sinne der UN-BRK (Artikel 2) aufzunehmen bzw. zu erweitern.

Am 14.06.2018 haben wir nachts die Debatte über die Umsetzung der EU-Richtlinie im Bundestag als Livestream in Gebärdensprache und mit Untertiteln unter https://www.bundestag.de/gebaerdensprache/ verfolgt. Leider gab es einige technische Untertitel-Störungen und beide tauben Dolmetscher konnten zeitweise nicht weiter übersetzen. Solche technischen Störungen gilt es in Zukunft zu vermeiden, damit die Debatten barrierefrei verfolgt werden können.

Literaturquellen:
EU-Richtlinie 2016/2102 über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen (26.10.2016)
• Forderungen des Deutschen Behindertenrates (DBR) anlässlich der Sondierungsgespräche von CDU, CSU und SPD 2018 (17.01.2018)
• DGB-Stellungnahme 3/2018 – Der bisherige Standard des Behindertengleichstellungsgesetzes darf nicht durch die Umsetzung der EU-Richtlinie 2016/2012 für Menschen mit Hörbehinderungen verschlechtert werden. (13.06.2018)
• BT-Drucksache 19/1342 – Antrag: Menschenrecht auf Barrierefreiheit umsetzen – Privatwirtschaft zu Barrierefreiheit verpflichten. (21.03.2018)
• BT-Drucksache 19/2072 – Gesetzentwurf (09.05.2018)
• BT-Drucksache 19/2728 – Beschlussempfehlung und Bericht (13.06.2018)
• BT-Drucksache 19/2733 – Entschließungsantrag (13.06.2018)
• BT-Plenarprotokoll 19/39

Über den Bundesverband
Der Deutsche Gehörlosen-Bund e.V. versteht sich als sozial- und gesundheitspolitische, kulturelle und berufliche Interessenvertretung der Gebärdensprachgemeinschaft, also der Gehörlosen und anderer Menschen mit Hörbehinderung, die derzeit 26 Mitgliedsverbände mit ca. 28.000 Mitgliedern, darunter 16 Landesverbände und 10 bundesweite Fachverbände, die sich insgesamt in mehr als 600 Vereinen zusammengeschlossen haben, zählen. Sein Ziel ist die kontinuierliche Verbesserung der Lebenssituation von Gehörlosen, durch den Abbau von kommunikativen Barrieren und die Wahrung von Rechten, um eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen.

Zur Website des DGB und weiteren Meldungen zum Thema kommen Sie hier.

Nachtrag: Barrierefreiheit bei der Deutschen Bahn

Hier ein Beispiel dafür, wie ein Unternehmen konkret Barrierefreiheit umsetzen kann: Die Bahn arbeitet aktuell daran, ihre Dienstleistungen speziell für Gehörlose zu verbessern. Auf ihrer Website erklärt ein Avatar in Gebärdensprache beispielsweise, wie man Fahrkarten online bucht und welche Rechte Fahrgäste haben. Diese Videos finden Sie gesammelt auf YouTube.

Daneben testet das Unternehmen gerade in einer Pilotphase einen LiveChat, den natürlich auch Gehörlose nutzen können.

Zu einer Übersicht der Deutschen Bahn in Sachen barrierefreies Reisen kommen Sie hier.

Und in Einfacher Sprache stellt das Unternehmen seine Angebote hier vor.

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